Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 e-moll, Op. 11

Frédéric Chopin
Dauer: 40'
Allegro maestoso
Romance – Larghetto
Rondo – Vivace

Metamorphosen des Populären – Frédéric Chopins e-Moll-Konzert op. 11 


«Das Adagio des neuen Konzerts ist in E-Dur. Es ist eine Art Romanze, ruhig und melancholisch. Es soll den Eindruck eines liebevollen Rückblicks erwecken, eines Rückblicks auf eine Stätte, die in uns tausend süsse Erinnerungen wachruft. Es ist wie eine Träumerei in einer schönen, mondbeglänzten Frühlingsnacht. Deshalb wird es mit sordinierten Geigen begleitet; das sind Geigen, die durch eine Art Kämme gedämpft werden, die, auf den Saiten angebracht, einen nasalen, silbernen Ton bewirken. – Vielleicht ist es schlecht, aber warum soll man sich fürchten, trotz schulgerechten Könnens schlecht zu schreiben? Erst die Wirkung kann zeigen, ob man wirklich einen Fehler gemacht hat.» (Chopin am 15. Mai 1830 aus Warschau an Titus Woyciechowski). – Dass der 20jährige Chopin in der Mitteilung an seinen Freund hier ein überlegt gewähltes Instrumentierungsdetail herausstreicht, ist bemerkenswert. Denn ausgerechnet angebliche Mängel der Orchestrierung gehören zu den Standardvorwürfen gegenüber Chopins Klavierkonzerten. Die Kritik richtet sich gegen das Ungleichgewicht, das zwischen virtuos ausgearbeitetem Klaviersatz und dem im Wesentlichen auf Begleitfunktionen reduzierten Orchester entsteht. Und sie erwächst aus einem Verständnis der Konzertform, das seine Wurzeln bei Mozart und Beethoven findet. Chopin schrieb seine Klavierkonzerte jedoch unter ganz anderen ästhetischen Bedingungen, ob er Beethovens Konzerte überhaupt kannte, ist fraglich. Es waren Komponisten wie Henri Herz, Ignaz Moscheles, Camille Pleyel oder Friedrich Kalkbrenner, die das stilistische Umfeld für Chopins Anfänge bereiteten (Kalkbrenner hat er sein e-Moll-Konzert denn auch gewidmet): Jene zirzensische Virtuosen also, die – beispielsweise auch für die junge Clara Schumann – die populäre und weit verbreitete Klavierliteratur jener Zeit lieferten. Heute sind sie nur noch eine musikgeschichtliche Randnotiz, die komplexen und ernsthaften Ansprüche Beethovens, Schumanns, Brahms’ haben sich als tauglicher zur Klassikbildung erwiesen. Die Ausnahme: Chopin. Dass in seinen Konzerten die ausbleibende Dialektik zwischen Orchester und Soloklavier als Manko zu bewerten sei, dass die Trivialität ihrer Vorbilder ihnen selber geschadet hätte, dass ihre Poesie opportunistische Publikumsanbiederung sei, würde heute niemand mehr ernsthaft behaupten können. Und so können wir Chopins Konzerte durchaus auch als Lehrstück hören: Herablassung gegenüber zeitgeistigen Modeerscheinungen ist unangebracht. Ein lebendig wacher Geist kann sie jederzeit in Poesie verwandeln!

©Michael Eidenbenz

 



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